Ein plötzlich mögliches „windows of opportunity“ für ein Zweitverwendungsrecht im Urheberrecht für AutorInnen in Bildung und Wissenschaft nutzen

Die eigentlichen Verlierer des Urheberrechts sind nicht die KünstlerInnen und Verleger, sondern die lobbyarmen bzw. nicht lobby-agressiven Bereiche von Bildung und Wissenschaft. Dabei könnte es so einfach sein. Es reichte ein Satz: Publizierte Information ist für Bildung und Wissenschaft im Rahmen ihrer Aufgaben ohne jede weitere Einschränkung genehmigungsfrei nutzbar. Die Bundesregierung hat bislang den Auftrag, den Dritten Korb als Wissenschaftskorb zu konzipieren, schlicht vergessen oder ausgesessen. Jetzt scheint sich aber unverhofft ein „windows of opportunity“ aufzutun, zumindest doch noch ein Zweitverwendungsrecht als Recht  der UrheberInnen in Bildung und Wissenschaft in das Gesetz aufzunehmen. Das ist unkompliziert machbar und wird zudem getragen von einem breiten Konsens der politischen Parteien.

In den hektischen Debatten der letzten Wochen zum Urheberrecht wurde kaum einmal das thematisiert, was eigentlich der politische Auftrag an die Bundesregierung gewesen war, nämlich über den Dritten Korb der Urheberrechtsreform sich endlich in Richtung eines wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts zu bewegen. Hier liegen die wirklichen Defizite. Dazu weiter unten mehr.

KünstlerInnen und Verleger haben keinen Anlass, sich über das Urheberrecht zu beklagen

Nur KünstlerInne und Verlage schienen das Ministerium noch zu interessieren. Natürlich sind die Klagen der KünstlerInnen und der sie verlegenden Verlage publikumswirksamer und vielleicht auch wahlenrelevanter.  Dabei haben sich beide Gruppen über die beiden letzten Urheberrechtsreformen 2003 und 2008 nicht zu beklagen. Die im deutschen Recht  ohnehin schon starken Rechte der UrheberInnen wurden nicht vermindert ─ höchstens im Detail der Regelung der Rechte an den bis dahin unbekannten Nutzungsarten. Auf der Strecke geblieben sind die NutzerInnen und erst recht die Besinnung darauf, dass auch Wissen und Information als Gemeingüter (Commons) organisiert sein sollten.

Verwöhnte und Bequeme – sich informationell selbstbestimmt verhalten

Das deutsche Urheberrecht räumt den UrheberInnen, sprich hier: den KünstlerInnen, über die unaufgebbaren Persönlichkeitsrechte und die ihnen ebenfalls exklusiv zustehenden Verwertungsrechte alle Privilegien und allen Schutz für ihre Werke ein. Nur nutzen sollten sie sie auch. KünstlerInnen werden eher von der Politik und dem Urheberrecht verwöhnt . Sie haben sich in dem Publikationsgeschäft und in dem „subventionierten Literaturbetrieb“  (so Michael Hvorecky aus der Slowakei in seinem Beitrag zur Kampagne „MEIN K©PF GEHÖRT MIR!“) bequem eingerichtet und verhalten sich brav und loyal und wenig autonomiebewusst gegenüber ihren Verlagen (vgl. auch NETETHICS dazu am 9.4.2012).

  • Warum geben sie in der Regel alle ihre Rechte exklusiv als Nutzungsrechte an die Verlage ab?
  • Warum drängen sie nicht wenigstens ihre Verlage dazu, zusätzlich zu den gedruckten Büchern eBooks oder andere attraktive elektronische Mehrwertprodukte aus den Ausgangstexten zu erstellen. Natürlich auch, indem sie darauf pochen, dass sie an den durch die stärkere Marktdurchdringung zu erzielenden höhere Einnahmen beteiligt werden.  Die Musikindustrie hat inzwischen einen Teil der Lektion gelernt und flexible Angebotsformen, wie Streamingdienste und Cloud-basierte Videotheken,und Geschäftsmodelle entwickelt, die von den NutzerInnen immer mehr bei akzeptablen Preisen genutzt werden.
  • Und nicht zuletzt: Warum ergreifen die  AutorInnen nicht stärker selber die Initiative und nutzen die Potenziale der elektronischen Umgebungen selbst  aus – über attraktive Produkte, mit phantasievollen Direkt-Marketing- und Vermarktungsformen und über direkte Ansprache- und Beteiligungsformen mit den LeserInnen.

Gerade die Gewinner des Urheberrechts, die Verlage, beklagen sich am intensivsten

Verwöhnt vom Recht werden ohnehin die Verlage. Man muss gar nicht erst die Buchpreisbindung erwähnen, die die Verlage in Deutschland weiterhin als Privileg behaupten. Wenn es Gewinner bei den Urheberrechtsanpassungen der letzten Jahre gegeben hat, dann, nach heftigen Lobbykampagnen vor allem über den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, zweifellos die Verleger, und vor allem die Verleger auf den Wissenschaftsmärkten. Und sie beklagen sich am lauthalsten und fordern, dass die kleinen Zugeständnisse, die die Politik Bildung und Wissenschaft gemacht haben, wie den (aber tatsächlich kaum brauchbaren)  § 52a, ganz wieder zurückgenommen werden (s. Börsenverein 12.4.2012).

Entstanden sind unter dem anhaltenden Druck (vor allem des Börsenvereins) Regelungen des Urheberrechts, die für Bildung und Wissenschaft keinesfalls freizügige, sondern in hohem Maße einschränkende, die Verlagswirtschaft begünstigende Schrankenregelungen geschaffen haben. Das muss hier nicht mehr belegt werden. Schaue sich jeder nur die §§ 52a, 52b, 53 und 53a an!

Haben die lobby-armen bzw. nicht lobby-agressiven Bereiche von Bildung und Wissenschaft keine Chance in der Politik?

Wenn jemand also wirklich berechtigte Klage ob der Probleme mit dem Urheberrecht führen kann, dann sind es die lobby-armen bzw. nicht lobby-agressiven Bereiche von Bildung und Wissenschaft, die immer wieder, meist vergeblich, auf die besseren Argumente vertraut haben.

Die Bundesjustizministerin hat in ihrem an vielen Stellen bemerkenswerten Beitrag „Kein Grund zum Kulturpessimismus“ in der FAZ vom 31.5.2011 selber eingestanden, dass „die letzten gesetzlichen Änderungen zwischen 1998 und 2009 zu erheblichen Verkomplizierungen am Text des Urheberrechtsgesetzes“ geführt haben – entstanden unter einem SPD-geführten Justizministerium.

Fatale Auswirkungen des Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft

„Verkomplizierungen“ ist eher noch eine Verharmlosung. Tatsächlich haben die komplizierten, für die Betroffenen kaum verständlichen Schrankenregelungen des Urheberrechts

  • zu großer Unsicherheit darüber geführt, was denn erlaubt und was verboten ist. Im Zweifelfall wird publizierte Literatur erst gar nicht genutzt
  • Einschränkungen der Literaturversorgung in Deutschland zur Folge gehabt
  • die Studierenden zur Flucht in die „kostenlosen“, aber keinesfalls ausreichend die Fachliteratur bereitstellenden Dienste der Googles getrieben (Googlerisierung der Ausbildung)
  • verschiedene teure Klagen vor Gerichten mit dann peinlichen und satireverdächtigen Urteilen entstehen lassen,  die immer noch unterwegs zu der letzten Instanz des Bundesgerichtshof sind und
  • letztlich auch zu einer wenig beachteten faktischen enormen Kostensteigerung (durch direkte und indirekte Belastungen) für den Umgang mit Wissen und Information und
  • last not least zu einer nicht unerheblichen Innovationseinschränkung der deutschen Wirtschaft geführt .

Die Missstände sind offensichtlich. Trotzdem hat es lange so ausgesehen, dass die jetzige Bundesregierung mit Blick auf das Urheberrecht unter dem Druck des liberalen Partners nur  Lobbypolitik betreiben will und den Auftrag des damaligen Bundestags für einen Wissenschaftskorb einfach vergessen oder aussitzen will.

Kein Superreformgesetz ─ gebraucht wird ein verständliches, schlankes, praktikables und jedermann einleuchtendes Wissenschaftsurheberrecht

Und dabei wäre es doch einfach und auch verträglich mit den Vorgaben der veralteten EU-Urheberrechtsrichtlinie von 2001 zu machen. Regelungen für ein Wissenschaftsurheberrecht  könnten  so einfach verständlich und so praktisch sein, dass der größte Teil der Bildung und Wissenschaft betreffenden komplizierten Schrankenregelungen einfach aus dem Gesetz gelöscht werden könnte. Entstehen müsste kein „Superreformgesetz“ (Leutheusser-Schnarrenberger in der FAZ), sondern ein verständliches, schlankes, praktikables und jedermann einleuchtendes Wissenschaftsurheberrecht (vgl. JusMeum dazu).

Bildung und Wissenschaft brauchen nichts anders als den einfachen Satz: Publizierte Information ist für Bildung und Wissenschaft im Rahmen ihrer Aufgaben ohne jede weitere Einschränkung genehmigungsfrei nutzbar. Das ist natürlich nur das Ziel. Aber Juristen sollten Wege finden, das als Code im Gesetz zu formulieren.

Genehmigungsfrei in jedem Fall – Vergütung müssen die Träger regeln

Und wenn doch als  „muss“ im Gesetz auf Vergütung bestanden werden soll, dann sollte aber zumindest das mit öffentlichen Mitteln unterstützt produzierte Wissen nicht vergütungspflichtig sein. Wenn Vergütungen an die Rechteinhaber in allen anderen Fällen doch unverzichtbar sein sollten, dann sollten sich die Träger der entsprechenden Einrichtungen in Bund und in den Ländern doch bitte auf eine ausreichende Finanzierung verständigen, so wie sie es ja auch (jahrhundertelang) über die Bibliotheken getan haben, auch wenn dafür möglicherweise Umschichtungen vorgenommen werden müssen.

Ein kleines „Window of opportunity“ ?

Wie gesagt, lange sah es so aus, als ob sich in der Bundesregierung, ausgehend vom Bundesjustizministerium, gar nichts mehr zugunsten eines wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheberrechts tun würde.  Jetzt aber – wer auch immer dafür verantwortlich sein mag: vielleicht sogar das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder der öffentliche Druck der Piratenpartei (??) ─ scheint sich doch ein kleines „Window of oppertunity“ aufzutun. Vielleicht ist zumindest eine Regelung für ein Zweitverwendungsrecht von UrheberInnen in Bildung und Wissenschaft möglich (zuweilen auch Zweitverwertungs- oder Zweiveröffentlichungsrecht genannt).

Mit „Zweitverwendungsrecht“ ist gemeint, dass UrheberInnen nach einer gewissen Frist zu der frei entscheidbaren Erstpublikation das Recht bekommen, ihre Werke selber zusätzlich öffentlich zugänglich zu machen. Dieses Recht, und das ist entscheidend, darf auch nicht durch anderslautende Verlagsverträge ausgesetzt werden.

Einige Essentials für das Zweitverwendungsrecht

Die Bundesregierung sollte diesen überfälligen Schritt nun endlich machen. Auch die Projektgruppe „Bildung und Forschung“ der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat am 21.5.2012 parteiübergreifend eine Handlungsempfehlung zum Thema „Open Access und Zweitveröffentlichungsrecht“ abgegeben.

  • Ein Zweitverwendungsrecht hat mit Open Access zunächst nichts zu tun und kann daher auch ohne Regelung der Art der darauf folgenden tatsächlichen Verwendung in das Gesetz eingebracht werden.
  • Das sollte über eine kleinere Änderung in § 38 UrhG erreichbar sein.
  • Dieses Recht beeinträchtigt in keiner Weise Wissenschaftsfreiheit. Vielmehr erhöhte es die auch politisch zweifellos erwünschte Stärkung der Rechte der UrheberInnen in Bildung und Wissenschaft.
  • Das Zweitverwendungsrecht sollte Arbeiten betreffen, die z.B. in Periodika, Sammelbänden, Festschriften und Proceedings erscheinen, aber zu erwägen wäre in mittlerer Perspektive auch die Berücksichtigung von Monographien.
  • Zwischen wissenschaftlicher Erstpublikation in einem Organ der freien Wahl der WissenschaftlerInnen und der Zweitveröffentlichung sollte eine Embargofrist vereinbart werden.
  • Die Frage der Regelung der Formatierung der Zweitverwertung hält das Aktionsbündnis für zweitrangig, wenn auch in den Rechts-, Geistes- und Sozialwissenschaftlichen weiterhin der verbindliche referenzierbare Zitatnachweis wichtig ist.

Zweitverwendungsrecht hat mit Open Access zunächst nichts zu tun, aber …

Wie gesagt, das Zweitverwendungsrecht hat mit Open Access zunächst nichts zu tun und kann sofort als Recht der UrheberInnen implementiert werden. Das Aktionsbündnis empfiehlt jedoch dem Gesetzgeber, ergänzend zur jetzt anstehenden Regelung des Zweitverwertungsrechts, durch ein Bündel von Maßnahmen dafür zu sorgen, dass im Interesse der Öffentlichkeit an einer freien und offenen Nutzung zumindest des mit öffentlichen Mitteln produzierten Wissens Formen der Verbindlichkeit gefunden werden. Optionen, dieser Herausforderung Rechnung zu tragen, werden ja in der Literatur diskutiert, z.B.

  • freiwillige Bereitschaft der AutorInnen, ihr neues Recht zugunsten Open Access zu nutzen
  • Zwangslizenzen gegenüber den Rechtinhabern
  • vertragliche Vereinbarungen bei der Drittmittelförderung
  • entsprechende Formulierungen bei den Arbeitsverträgen zugunsten eines einfachen Zweitnutzungsrechts der Organisationen der UrheberInnen (im Sinne eines institutionellen Mandats) oder
  • weitestgehend, die Verankerung des institutionellen Mandats als Schrankenregelung  im Urheberrecht selber.

Aber sie alle müssen sicher noch weiter in ihren Konsequenzen und in rechtlicher Verträglichkeit überprüft werden.

Spatzen und Tauben

Aber das muss nicht jetzt geregelt werden. Jetzt sollte dieses kleine Fenster der Zweitverwendungsrecht genutzt werden. Dass es damit nicht insgesamt mit dem wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht getan ist, weiß jeder in Bildung und Wissenschaft. Nach wie vor, wie oben ausgeführt, steht die grundlegende Forderung nach einer uneingeschränkten genehmigungsfreien Nutzung publizierter Information in Bildung und Wissenschaften zu deren Zwecken im Raum.

Comments (2)

 

  1. [...] Netethics » Ein plötzlich mögliches „windows of opportunity“ für ein Zweitverwen… [...]

  2. [...] Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht für WissenschaftlerInnen, wie zuletzt gestern der Urheberrechtsexperte und Informatiker Prof. Dr. Rainer Kuhlen forderte. Dieser Forderung stellen Wissenschaftsorganisationen und der Bundesrat bereits seit Jahren. Alle [...]